Orgelbauer historisch

Hildebrandt, Zacharias

Noch vor Jahrzehnten stand der mitteldeutsche Orgelbauer Zacharias Hildebrandt völlig im Schatten seines genialen Lehrmeisters Gottfried Silbermann.
Als im Jahre 1932 Kurt Pomp im Band XXI der „Mitteilungen des Landesvereins Sächsischer Heimat­schutz“ einen Artikel über die Orgel von Zacharias Hildebrandt in Lengefeld schrieb, wurden der orgelinteressierten Öffentlichkeit zum ersten Male in einem längeren Aufsatz bemerkenswerte Nachrichten über diesen bedeutenden Orgelbauer mitgeteilt. Im Prinzip kann man mit jener Arbeit die Geburtsstunde der Forschungen über Zacharias Hildebrandt markieren, der ohne Zweifel zu den eindrucksvollsten Orgelbauern des 18. Jahrhunderts in Mittel­deutschland gehört. Er läßt sich auf die gleiche Qualitätsstufe wie Silbermann stellen. Dieses ausgezeichnete Urteil verdankt er in erster Linie seiner Orgel in der St. Wenzelskirche zu Naumburg, die Ulrich Dähnert „zu den hervorragend­sten und genialsten Leistungen spätbarocken Orgelbaus“ zählt.1 Bei Ernst Ludwig Gerber, dem bekannten Musikhistoriker am Beginn des 19. Jahrhunderts, kann man beispielsweise lesen:2

„Zacharias Hildebrandt, ein vortrefflicher und berühmter Orgelbauer, war ein Schüler, und zwar der beste, von Gottfried Silbermann, und hat sich besonders durch folgende Werke verewigt: die Orgel der neuen katholischen Schloßkirche zu Dresden von 45 Stimmen, die Orgel auf der Neustadt daselbst von 38 Stimmen, und die Orgel zu St. Wenzeslay in Naumburg von 52 Stimmen.“

Es spricht in hohem Maße für Zacharias Hildebrandt, daß man ihn oft mit Silbermann verwechselte, ja ihn sogar auf eine Stufe mit diesem genialen Meister stellte bzw. ihn als seinen besten Schüler beschrieb. So galt lange Zeit das Hilbers­dorfer Brüstungspositiv, das sich heute im Musikinstrumenten-Museum der Universität in Leipzig befindet, als ein Werk des Freiberger Meisters. Und sogar im Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter stößt man hinsichtlich des Erbauers der Naumburger Wenzelsorgel auf den Namen von Gottfried Silbermann, wobei sich natürlich die orgelbauliche Sachkenntnis dieser beiden prominenten Geistesgrößen des frühen 19. Jahrhunderts in engen Grenzen bewegt haben dürfte.3

Zacharias Hildebrandt war 1713 nach Freiberg gekommen, hatte dort die Lehre in Silbermanns Werkstatt begonnen. Er erhielt freie Unterkunft und Verpflegung, mußte sich aber verpflichten, nach Abschluß seiner Meisterprüfung weder in Sachsen noch im Elsaß neue Orgeln zu bauen. Silbermann erkannte sehr bald die handwerkliche und künstlerische Begabung des aus Schlesien zugereisten Mannes. Sein Bestreben war es, ihn fest an seine Werkstatt zu binden und damit zugleich eine mögliche Selbständigkeit und künftige Konkurrenz auszuschließen. In dieser frühen Zeit trat Hildebrandt zuweilen sogar als gleichberechtigter Partner bei Vertragsabschlüssen auf, wie es im Fall der Silbermann-Orgel in der St. Georgenkirche zu Rötha im Dezember 1718 überliefert ist. Beim Bau seines Meisterstückes, der Orgel in der Kirche zu Langhennersdorf, realisierte Zacharias Hildebrandt verschiedene neue bauliche und klangliche Elemente, die danach Gottfried Silbermann in seine Konzeption einfließen ließ (Windtrennung, Bleikehlen, Prospektgestaltung mit 8 Fuß im Mittelturm). Diese Tatsache ist sehr bemerkenswert, wenn man bedenkt, daß Silbermann zeitlebens nahezu unbeirrbar an seiner Konzeption festhielt und kaum auf andere Einflüsse reagierte.

Mit dem Bau der Orgel in Störmthal bei Leipzig verstieß Hildebrandt 1722 gegen den mit Silbermann geschlossenen Vertrag. Die Folge war ein sich über Jahre hinziehender Rechtsstreit. Er sollte die fruchtbare künstlerische Gemeinsamkeit jäh beenden. Am Ende der von Silbermann mit großer Härte geführten Auseinandersetzungen war über fast ein Vierteljahrhundert hinweg kein Kontakt mehr zwischen beiden zu verzeichnen, zumal Hildebrandt sein Tätigkeitsfeld in die Gegend von Sangerhausen verlegt hatte. Erst mit zunehmenden gesundheitlichen Problemen Silbermanns in seiner späten Lebensphase kamen sich die beiden offenbar nach der Naumburger Orgelweihe wieder näher, so daß Hildebrandt eine Schlüsselstellung bei der Vollendung der Silbermann-Orgel in der katholischen Hofkirche Dresden eingeräumt bekam.

Zacharias Hildebrandt besaß ein besonders gutes Verhältnis zu Johann Sebastian Bach. Seit der Weihe der Orgel in Störmthal im Jahre 1723 stand er offenbar bis zu dessen Tode in stetem Kontakt mit dem Leipziger Thomaskantor und verdankte ihm eine gewisse Protektion im Leipziger Umfeld. Inwieweit er Bachs Intentionen in seine Konzeption einfließen ließ, läßt sich aber nur bruchstückhaft nachweisen.

 

Anmerkungen:

1    Ulrich Dähnert, Der Orgel- und Instrumentenbauer Zacharias Hildebrandt. Leipzig 1962, S. 116.
2    Ernst Ludwig Gerber, Historisch-Biographisches Lexikon der Tonkünstler, Bd. 1, S. 636. Leipzig 1790.
3    Ludwig Geiger, Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter in den Jahren 1799 – 1832. Leipzig o. J. (1904), S. 239; vgl. Ernst Flade, Gottfried Silbermann. Leipzig 1952, S. 202, Anm. 557.

Sein Leben in der Übersicht

1688 Geburt in Münsterberg/Schlesien als Sohn des Wagenbauers Heinrich Hildebrandt; die Mutter ist namentlich nicht bekannt
9.12.1713 Beginn der Lehre und der Tätigkeit in der Werkstatt von Gottfried Silbermann
1718 Meisterprüfung bei Gottfried Silbermann
26.8.1722 Zacharias Hildebrandts Eintragung als Bürger von Freiberg
14.9.1722 Heirat in Langhennersdorf mit der 22jährigen Marie Elisabetha Dachselt, Tochter des Freiberger Böttchermeisters Christian Dachselt
1722 – 1724 Rechtsstreit mit Gottfried Silbermann
21.9.1722 Unterzeichnung des sogenannten „Wechsel-Contractes“ in Freiberg; Ende der Mitarbeit in der Freiberger Werkstatt Silbermanns
ca. Ende 1722 Übersiedlung nach Liebertwolkwitz bei Leipzig
2.11.1723 Einweihung der Orgel in Störmthal und Begegnung mit Johann Sebastian Bach sowie Aufführung von dessen Kantate „Höchsterwünschtes Freudenfest“ BWV 194
29.12.1724 „Decisiv Rescript“ der kurfürstlichen Regierung in Dresden beendet den Rechtsstreit mit Silbermann
16.9.1727 Tod einer Tochter Hildebrandts
1730 Ernennung zum Fürstl. Sächsisch-Weißenfelsischen Hoforgelmacher; Wohnung und Werkstatt vermutlich in Sangerhausen oder Weißenfels
vor 1734 Umzug nach Leipzig; Werkstatt und Wohnung auf dem „Ranstädter Stein-Wege“
27.9.1746 Orgelabnahme in Naumburg/St. Wenzel durch Johann Sebastian Bach und Gottfried Silbermann
ca. Sept. 1748 Hildebrandt wird Nachfolger des verstorbenen Johann Scheibe als „Universitätsorgelmacher“
11.10.1757 Tod in Dresden
14.10.1757 Beisetzung auf dem Neustädter Friedhof in Dresden

 

Sein Schaffen in der Übersicht

Be = Bewerbung um Orgelbau
E = nicht ausgeführter Entwurf
G = Gutachten
MS = Mitarbeit als Geselle bzw. Partner bei Gottfried Silbermann
Nb = Neubau
R = Reparatur
Ub = Umbau
Die erhaltenen Orgeln Hildebrandts und Silbermanns sind kursiv ausgezeichnet.

 

1713/14 Freiberg/Dom MS
1717 – 22 Langhennersdorf/St. Nicolai II/P/21 Nb
1718 – 21 Rötha/St. Georg MS
1722 Freiberg/St. Petri R
1722/23 Störmthal I/P/14 Nb
1723/24 Hilbersdorf I/5, jetzt im Musikinstrumenten-Museum der Universität Leipzig Nb
1724 Rochlitz/St. Kunigunden Be
1724/25 Liebertwolkwitz I/P/13 Nb
1725/26 Lengefeld II/P/22, stark verändert erhalten Nb
1727/28 Leipzig/St. Thomas R
1727 Sangerhausen/Heilig-Geist-Stift I/6 Nb
1728 Sangerhausen/St. Jacobi II/P/27 Nb
1728 Pölsfeld bei Sangerhausen/St. Moritz I/11 Ub/Nb
1729/30 Sangerhausen/Schloßkapelle St. Trinitatis R; E I/P/16 bzw. II/P/18
1730 Sotterhausen/St. Georg I/P/9 Nb
1730 Eisleben/St. Andreas Be/E
1732 Lindenau bei Leipzig I/P/(10 ?) Nb
1734/35 Merseburg/Dom R/Ub
1735/36 Eutritzsch bei Leipzig I/P/10 Nb
1737 ff. Leipzig/St. Nicolai R
1738 Kopenhagen/Schloß Christiansborg, Schloßkirche III/P/47 E
ca. 1738/40 Bau des von J. S. Bach entworfenen „Lautenclavicymbel“  
1739/40 Lindenau bei Leipzig R
1741 – 49 Hettstedt/St. Jacobi II/P/31 Nb
1743 Leipzig/St. Johannis G
1744/45 Naumburg/St. Marien I/P/13, unvollendet Nb
1746 Naumburg/St. Wenzel III/P/53 Nb
1747 Eisenberg/St. Petri Be
1748 Wiederitzsch I/P/10 Nb
1749 Leipzig/St. Nicolai R
1750 Eutritzsch bei Leipzig R
1750 – 55 Dresden/kath. Hofkirche MS und teilweise Vollendung
1754 – 57 Dresden-Neustadt/Dreikönigskirche II/P/38, Vollendung durch seinen Sohn Johann Gottfried Nb
um 1756 Goldbach I/P/10, stark verändert erhalten Nb

 

Literaturhinweis: Felix Friedrich, Die Orgelbauer Zacharias und Johann Gottfried Hildebrandt. Bibliographie zu Leben und Werk. Kleinblittersdorf 1998.

Klangbeispiele

Die Orgeln von Zacharias Hildebrandt Volume 1von der CD:

Die Orgeln von Zacharias Hildebrandt Volume 1

Hier erhältlich

JOHANN SEBASTIAN BACH Track 1 Praeludium B-Dur über den Namen B-A-C-H BWV 898
JOHANN SEBASTIAN BACH Track 2 Fuge B-Dur über den Namen B-A-C-H BWV 898
JOHANN CHRISTIAN BACH Track 3 Fuge über B-A-C-H

Eine Auswahl von Büchern und CDs  zu den Orgeln von Zacharias Hildebrandt finden Sie im Shop der Verlagsgruppe Kamprad.

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